Linux 2018 – das Jahr im Rückblick

Torvalds wird zahm

Die skurrilste Begebenheit des Linux-Jahres war für mich die Auszeit von Linus Torvalds Mitte September. Wenige Tage zuvor wurde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ein neuer Code of Conduct für Kernel Developer (CoC) abgesegnet. Torvalds ist bekannt dafür, oft cholerisch auf schlechten Code oder Verstöße gegen die Regeln der Kernel-Entwicklung zu reagieren. Das drückte sich dann teils in persönlichen Beleidigungen aus, die manchmal die Grenzen des Erträglichen überschritten. Er stand stets zu seiner Arbeitsweise, da sie Ergebnisse bringt.

Photo by Andre Mouton on Unsplash

Im Großen und Ganzen akzeptierte die meist männliche Kernel-Entwicklergemeinschaft diese verbalen Ausfälle. Nun hat Torvalds aber erkannt, dass er emotionale Probleme mit seinen Kollegen hat und erklärte, sich Hilfe suchen zu wollen, um diese zu lösen. Er entschuldigte sich für die Ausfälle der Vergangenheit und entschwand in eine mehrwöchige Auszeit.

Gerüchteküche

Mehrere Umstände dieser Aktion ließen in der Linux-Community und darüber hinaus die Gerüchteküche brodeln. Da war zum einen die Herkunft des CoC, der von einem Contributor Covenant der sehr umstrittenen Coraline Ada Ehmke stammt, die sich selbst als »Notorious Social Justice Warrior« bezeichnet.

Diese Gruppierung, die in den USA gängig mit SJW abgekürzt wird, setzt sich aus Aktivisten für soziale Gerechtigkeit, Feminismus, Geschlechtergleichheit und Bürgerrechte zusammen, hat nicht gerade den besten Ruf, hält sich teils nicht an die eigenen Prämissen und ist als populistisch verrufen.

Social Warriors

Aktivisten aus den dort versammelten Communities versuchten seit 2015, Linux unter das Contributor Covenant zu zwingen. Dabei geht es ihnen darum, den vermeintlich vorherrschenden Typus des »männlichen weißen heterosexuellen Entwicklers« vom Thron zu stoßen und mehr Vielfalt einzuführen. Das wird von Kritikern vielfach als Wichtigtuerei abgetan.

[su_pullquote align=”right”]»Einige Menschen glauben, ich bin nett und sind schockiert, wenn sie etwas anderes herausfinden. Ich bin keine nette Person und ihr seid mir egal. Nicht egal ist mir die Technik und der Kernel.« Torvalds 2015 »Ich werde nie kuschelig werden, aber ich kann höflicher sein.« Torvalds 2018[/su_pullquote]

In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Torvalds über die Jahre angeblich mehrfach mit vermeintlichen sexuellen Übergriffen kompromittiert werden sollte. Er soll nie darüber gesprochen, aber seitdem immer vermieden haben, auf Konferenzen alleine mit weiblichen Teilnehmern zu sein. Darüber berichtete der über Verschwörungstheorien erhabene Eric Raymond 2015 in seinem Blog. In seiner Analyse des neuen CoC äussert Raymond zudem die Meinung, durch einen Code of Conduct sei noch kein Projekt besser geworden.

Mittlerweile ist Torvalds längst zurück auf seinem Posten als Alleinherrscher über den Kernel. Ob er aber wirklich noch der Máximo Líder ist, ist nach den Vorfällen für mich fraglich. Der Marktwert von Linux ist mittlerweile so groß, dass es nicht ausbleiben kann, dass Marktkräfte versuchen, Einfluss zu nehmen. Wo das im Endeffekt hinführt, bleibt abzuwarten.

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