Zum GlĂĽck hatte ich noch nicht gegessen. Da bezeichnet doch der Bund der Steuerzahler in seinem neuesten Schwarzbuch das MĂĽnchner LiMux-Projekt, anscheinend ungetrĂĽbt von jeglicher Sachkenntnis, als Steuerverschwendung. So sieht es jedenfalls die Vize-Präsidentin des »Bunds der Steuerzahler Bayern e.V.«, Maria Ritch in Das Schwarzbuch – Die öffentliche Verschwendung 2017/2018. Der Bericht, der sich Aussagen der Stadt MĂĽnchen, vertreten durch den Microsoft-Freund und ersten BĂĽrgermeister Dieter Reiter (SPD) und dessen Vize Josef Schmid (CSU), ungefiltert zu eigen macht, gipfelt in folgendem Tenor:
»Das rund 19 Millionen Euro teure „LiMux“-Betriebssystem hat sich offenbar als folgenschwere Fehlentscheidung erwiesen. Pinguin, adieu! Die nunmehr beabsichtigte Entwicklung eines neuen Windows-Basis-Clients fĂĽr die MĂĽnchner Stadtverwaltung wird weitere Steuergelder in Millionenhöhe verschlingen.«Â
Die Einstufung als Fehlentscheidung entspringt Aussagen der Stadtverwaltung wie dieser:
»Heute sind wir mit einer vornehmlich auf Linux ausgerichteten Clientlandschaft in vielen Fällen mit teilweise großen Schwierigkeiten und zusätzlichen Kosten konfrontiert, wenn es darum geht, professionelle Anwendungssoftware am Markt zu erwerben und zu betreiben. Wir sind bereits seit Jahren gezwungen, neben den Linux-Systemen auch Windowssysteme zu verwenden, da wir anderweitig unsere Geschäftsprozesse nicht geeignet unterstützen können. Auf Dauer führt dieser Zustand dazu, dass der Betrieb der nicht einheitlichen Clientlandschaft nicht mehr kosteneffizient gestaltet werden kann.«
Armer Pinguin
Der Pinguin ist also schuld. Wer sich etwas näher mit der Materie befasst, erkennt dass das Scheitern des auf Debian basierenden Projekts eher im Kompetenzstreitigkeiten dreier städtischer IT-Häuser begrĂĽndet liegt. Anstatt einer Behörde die Zuständigkeit ĂĽber die IT der Stadt MĂĽnchen zu ĂĽbertragen wird nun ein Projekt abgewickelt, das ĂĽber 15 Jahre bereits Millionen an Steuergeldern eingespart hat. Die MĂĽnchner GrĂĽnen forderten so auch im Januar 2016 in einer Pressemitteilung, »die Zuständigkeit fĂĽr die städtische IT in einer Stelle zusammenzufassen – bei einer Art CIO (Chief Information Officer) – anstatt sie auf drei “Häuser” aufzusplittern.«
Die von der Stadt erwähnten noch benötigten Windows-Systeme belaufen sich in ihrer Gesamtheit auf rund 1.000 Stück. Dem gegenüber stehen 17.000 Linux-Clients. Die verbliebenen Windows-Rechner dienen vor allem zur Durchführung von Fachverfahren, für die es unter Linux noch keine adäquate Entsprechung gibt. Anstatt hier entsprechende Software zu beauftragen wird lieber das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
Das Kind mit dem Bade ausschĂĽtten
Immer wieder wurde in den letzten Jahren klar, dass LiMux hier den SĂĽndenbock darstellen soll fĂĽr die Fehler einer IT ohne wirkliche Kontrolle und Entscheidungshoheit. MĂĽnchens IT-Beauftragter Kotulek bestätigte bei aller diplomatischen ZurĂĽckhaltung in einem von c’t gefĂĽhrten Interview vor drei Jahren diesen Eindruck, dass nicht wirklich LiMux das Problem ist.
Beschwerden über die IT wird es in großen Behörden und Unternehmen immer geben. Davon abgesehen waren die Punkte, die die beiden Bürgermeister ins Feld führten wenig stichhaltig und zeigten Unkenntnis der zugrundeliegenden Techniken und deren Umsetzung in einem sicherheitsrelevanten Umfeld. Die von den Bürgermeistern vorgebrachten Probleme haben laut Kotulek »ursächlich nichts mit der Frage LiMux oder Microsoft zu tun«.
Extern, aber auch unabhängig?
Letztes Jahr wurde beschlossen, ein externes Gutachten solle klären, ob Münchens IT mit LiMux für die Zukunft gut aufgestellt sei. Extern ist gut, dann aber bitte auch unabhängig. Beim beauftragten Unternehmen  Accenture ist die gebotene Neutralität jedoch nicht vorhanden, betreibt doch Accenture zusammen mit Microsoft das Unternehmen Avanade, dessen Geschäftsmodell es ist, Microsoft-Produkte in Unternehmen und Verwaltungen zu etablieren. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Entsprechend mundgerecht fiel dann auch das Gutachten (PDF) aus. Mundgerecht fĂĽr einen BĂĽrgermeister Reiter, der sich selbst als Microsoft-Fan bezeichnet und damit brĂĽstet, die Microsoft-Zentrale vom Umland in die Stadtmitte geholt zu haben. Obwohl die Analysten im Gutachten ebenso zu dem Schluss kommen, dass eher organisatorische als technische GrĂĽnde zu der beobachteten Unzufriedenheit fĂĽhrten – lediglich 50 – 60 Prozent der Mitarbeiter waren mit der IT zufrieden – fĂĽhrte dies jedoch nicht zu dem Schluss, LiMux weiter zu verbessern, während zeitgleich die organisatorischen Probleme angegangen werden. Nein, es soll ein neuer Windows-10-Client her.
Teure RĂĽckmigration
Die Kosten hierfür sind bisher unklar. Im November soll die Lage im Stadtrat erneut erörtert werden. Klar sind jedoch die Lizenzkosten, die bei einer vollständigen Umstellung auf Windows 10 anfallen. Diese belaufen sich laut Gutachten auf rund sechs Millionen Euro für die Erstausstattung plus mehr als eine Million Euro jährlich. Das schließt noch nicht die Kosten für die nötige neue Hardware ein, auf der Windows 10 lauffähig ist. Bisherige Schätzungen nennen dafür einen zweistelligen Millionenbetrag.
Wer verschwendet hier wirklich Steuergelder?
Ich bin weder Wirtschaftsprüfer noch habe ich BWL studiert. Ich kann mich jedoch bei vernünftiger Betrachtung der Fakten des Eindrucks nicht erwehren, dass das jetzt vorliegende Schwarzbuch des Bunds der Steuerzahler die Steuerverschwendung an der völlig falschen Stelle sieht. Der schwarze Peter gehört hier eher in die Hände der Stadtverwaltung, die ein Open-Source-Projekt, das Sicherheit und Transparenz bietet und weltweit Beachtung und Nachahmer fand, abschaffen will um es mit einer proprietären Lösung zu ersetzen, die den Obersten in der Stadtverwaltung und in der Microsoft-Zentrale genehm ist.