Es kommt nicht allzu oft vor, dass eine komplett neue Desktop-Umgebung das Licht der Linux-Welt erblickt. Über zwei Jahre hat die mit vielen Vorschusslorbeeren versehene Entwicklung des von Grund auf in Rust geschriebenen COSMIC Desktop des US-amerikanischen Linux-Notebook-Herstellers System76 bis zu einer ersten Alpha gebraucht. Seit gestern ist ein erster Blick auf die Neuentwicklung im Rahmen der hauseigenen Distribution Pop!_OS 24.04 LTS Alpha als ISO Image möglich.
Kritik an GNOME
Pop!_OS verwendete in der Vergangenheit eine angepasste Version des GNOME Desktops. Doch seit 2021 mehrten sich die Spannungen zwischen Pop!_OS und den GNOME-Entwicklern. Ein Kritikpunkt der Pop!_OS-Verantwortlichen war, dass GNOME für Distributionen mit der Einführung der Grafikbibliothek Libadwaita immer weniger Möglichkeiten zur Anpassung bot, wenn man auf die bei Updates notorisch instabilen GNOME-Erweiterungen verzichten wollte.
Keine Umstellung nötig
Ziel der Entwicklung war, das GNOME-Benutzererlebnis und dessen Effizienz nach den eigenen Vorstellungen umzusetzen. Die Mittel dazu sollten die Programmiersprache Rust und das damit verfasste GUI-Toolkit iced sein. Die Platzierung der Bedienelemente ist dementsprechend ähnlich wie bei GNOME und somit ist alles dort, wo man es erwartet. Der App-Grid verfügt zusätzlich über eine anpassbare Kategorisierung für unterschiedliche Arbeitssituationen.

Tiling inklusive
Außer Firefox sind alle im Standard-App-Grid verfügbaren Apps Eigenentwicklungen. Alsda wären der App-Store, der COSMIC Dateimanager, die Einstellungen, das Terminal sowie der Texteditor. In der rechten oberen Ecke öffnet das zweite Icon von links die Einstellungen des Tiling-Managers. Er beherrscht unter anderem Auto-Tiling pro virtuellem Desktop, Einrasten und Stapeln. Mit dem optionalen automatischen Tiling ordnen sich neu geöffnete Fenster in einem Raster an. Selbst der Abstand der Fenster zueinander kann geändert werden. Die Möglichkeiten, gekachelte Fenster zu manipulieren, lassen an dedizierte Tiling-Fenstermanager denken.
COSMIC lässt sich im Design vielfach anpassen und vermittelt einen modernen, aufgeräumten Eindruck. Auch Panel und Dock lassen sich in jeder erdenklichen Form manipulieren, sei es Positionierung, Größe oder Transparenz.
Der COSMIC App Store, der an die Stelle des bisherigen Pop!_Shop tritt, hat einen Vorteil gegenüber seinen Kollegen von Plasma und GNOME: Er reagiert blitzschnell auf Eingaben. Auch Updates, von denen es bereits heute Morgen einige gab, gehen zügig vonstatten.
Das bessere GNOME
Es ist kein leichtes Unterfangen, einen Desktop von Grund auf neu zu erstellen. System76 hat hier einen guten Job gemacht, soviel lässt sich bereits nach Begutachtung der ersten Alpha sagen. Mir gefällt die Aufmachung und vor allem die durchgehend hohe Geschwindigkeit und Reaktion auf Eingaben. Auch der Ressourcenverbrauch hielt sich für einen ausgewachsenen Desktop in Grenzen. Und das sage ich als verwöhnter Plasma-Fanboy.
Noch absturzfreudig
Es ist noch viel zu tun vor einer stabilen Version; innerhalb einer Stunde stürzte mir Pop!_OS viermal in verschiedenen Situationen ab. Aber das ist bei einer ersten Alpha nicht ungewöhnlich. Ob sich COSMIC neben den Platzhirschen Plasma und GNOME als dritte große Desktop-Umgebung wird etablieren können, bleibt abzuwarten. Ich denke, die Chancen dafür stehen aber nicht schlecht. Nach diesem ersten Blick auf COSMIC denke ich, der neue Desktop ist eine Bereicherung für Linux und könnte definitiv das bessere GNOME werden.
Bereits gut verteilt
Wer sich jetzt ebenfalls begeistern lassen möchte, findet das Abbild zu Pop!_OS 24.04 LTS Alpha in der Ankündigung. Außer in Pop!_OS ist COSMIC bereits für Fedora, NixOS, Arch Linux, openSUSE, Serpent OS und teilweise in Redox OS verfügbar. Instruktionen für die jeweiligen Distributionen sind ebenfalls der Ankündigung zu entnehmen.