Mit KDE neon und GNOME OS verfügen die beiden großen Desktop-Umgebungen bereits über je eine Distribution, die sie aber nicht an die große Glocke hängen. Beide dienen eher als Entwicklungsplattform und als Referenz des aktuellen Stands der jeweiligen Umgebung. KDE neon ist dabei eher dem User zugewandt als GNOME OS, das still im Verborgenen blüht. Keines der beiden Projekte wird als offizielle Distribution des jeweiligen Desktops bezeichnet.
KDE Linux
Künftig könnte es jedoch offizielle Distributionen von KDE als auch von GNOME geben. Die Pläne für eine offizielle Distribution der KDE-Gemeinschaft sind spätestens seit dem Vortrag von Harald Sitter auf der diesjährigen Akademy bekannt. Das KDE-Linux mit dem Codenamen Project Banana wird seit dem 15. Mai auf GitLab sehr aktiv vorangetrieben.
Ein kugelsicheres Betriebssystem zu schaffen, das das Beste von KDE zeigt und das wir mit Stolz Benutzern und OEMs empfehlen können.
Arch Linux als Basis
Das Ziel ist ein Semi-Rolling-Release mit Arch Linux als Unterbau. Einzig unterstütztes Dateisystem soll Btrfs sein. Das Image-basierte Betriebssystem soll hauptsächlich Flatpak oder systemd-sysext als Paketbasis nutzen und nach dem Vorbild von Android und Vanilla OS als atomares und unveränderliches A/B-System mit Rollback funktionieren. Das systemd-sysext-Format ermöglicht dabei die Erweiterung des Host-Systems durch ein Overlay, das die gebündelte Software ähnlich wie herkömmliche Pakete integriert.
Verschiedene Editionen
Automatische Backups zur Sicherung von Benutzerdaten unter Verwendung von Btrfs-Snapshots gehören ebenso zu den geplanten Funktionen wie die Verschlüsselung aller veränderbaren Daten im Home-Verzeichnis. Der Systemstart wird per systemd-boot erfolgen. Die Images werden mit dem aus systemd bekannten Tool mkosi gebaut. Neben x86-64 wird auch über Architekturen wie ARM/RISC-V nachgedacht. Der Fokus liegt auf modernen Technologien, die die Distribution auch für Hardware-Partner attraktiv machen sollen. Ähnlich wie bei KDE neon soll es die drei Editionen Testing, Enthusiast und Stable geben.
GNOME OS
Das seit 2012 entwickelte GNOME OS ist weit weniger zum generellen Einsatz geeignet als KDE neon und dürfte bisher kaum Anwender haben, die es im Alltag einsetzen. Es dient den Entwicklern und dem Design-Team als Testbasis und kann von Enthusiasten genutzt werden, um die GNOME-Entwicklung zu verfolgen.
carbonOS + GNOME OS
Der Vortrag zu KDE Linux auf der Akademy-Konferenz inspirierte den mit GNOME verbundenen Entwickler Adrian Vovk, GNOME OS als Basis für ein ähnliches Projekt zu nutzen. GNOME OS ist ihm bereits vertraut, da die Ideen der von ihm entwickelten Konzept-Distribution carbonOS in GNOME OS aufgegangen sind. Viele der von KDE Linux propagierten Ziele stimmten mit seiner Arbeit an carbonOS überein. Somit verwendet seine Idee eines GNOME OS zum allgemeinen Gebrauch in etwa die gleichen Strategien wie KDE Linux, wie einem ausführlichen Blogeintrag von Vovk zu entnehmen ist.
Vor- und Nachteile von Desktop-Distributionen
Welche Vor- und Nachteile sind von solchen Distributionen für Entwickler und Anwender zu erwarten? Für Entwickler ändert sich wenig, sie könnten künftig den Testing-Zweig der jeweiligen Distribution nutzen. Anwender erhalten mit offiziellen Versionen von KDE Linux oder GNOME OS jeweils ein reines, unverfälschtes KDE Plasma oder GNOME mit den projekttypischen Anwendungen auf einem modernen Unterbau.
Nachteil Immutability?
Ein Nachteil bzw. ein Ausschlusskriterium dürfte für einige Anwender das bei beiden Projekten verwendete Immutability-Prinzip sein. Um diesem Prinzip gerecht zu werden, werden seine Eigenschaften in letzter Zeit unter dem Begriff Atomic subsumiert, was den nicht ganz zutreffenden Begriff Immutable ersetzen soll. Denn es ist mitnichten so, dass diese Systeme zwingend unveränderlich sind. Wie bei Distributionen wie Vanilla OS ersichtlich ist, können Entwickler und Enthusiasten wie gewohnt auch selbst Hand anlegen und ins System eingreifen. Damit ist ein oft kolportierter Kritikpunkt hinfällig. Nicht so versierte Anwender können sich dagegen über erhöhten Schutz vor der Zerstörung des Systems freuen.
Ausblick
Ob und wann eine oder beide Distributionen einen offiziellen Status als Vorzeigeprojekte des jeweiligen Desktops einnehmen werden, ist unklar. KDE Linux ist weiter fortgeschritten in der Entwicklung, aber trotzdem weit von einer Veröffentlichung entfernt. Die Pläne von GNOME OS sind noch am Anfang und scheinen bisher wenig aktive Community-Unterstützung zu haben. Lassen wir uns also überraschen, ob es künftig offizielle Aushängeschilder von KDE oder GNOME geben wird.