Auf der kürzlich zu Ende gegangenen Konferenz SUSECON wurden wichtige Weichen für die Zukunft gestellt. Dabei wurde auch das bisher eher schwammige Konzept der Adaptable Linux Platform (ALP) konkretisiert.
Im Anschluss an die Konferenz fand ein Online-Meeting statt, dass Fleisch auf das während der Konferenz vorgestellte ALP-Skelett bringen sollte. Als Einleitung des Meetings diente eine Präsentation von Richard Brown, das in groben Zügen die angedachte Entwicklung skizzierte.
Die SLES-Falle
Zunächst jedoch ging Brown darauf ein, warum das Konzept von SLES immer schwieriger umzusetzen sei und deshalb eine neue Architektur vonnöten ist. SLES -Veröffentlichungen sind mit einer Lebensspanne von 10 bis 13 Jahren und dem Versprechen ausgestattet, dass alles, was in einer Hauptversion ausgeliefert wird, über alle Service-Packs hinweg bis zum EOL unterstützt wird. Das führte dazu, dass SLE 15 bei der ersten Veröffentlichung aus 3.366 Quellpaketen bestand und mit dem Erscheinen von Servicepack 5 fünf Jahre später ist diese Zahl auf 33.178 Quellpakete angewachsen, wobei SP5 selbst lediglich 728 Pakete hinzufügte. Zum Vergleich: Tumbleweed kommt mit 14.739 Quellpaketen daher. Beim EOL einer SLES-Version besteht diese also aus dem eigentlichen Release sowie obendrauf allen Servicepacks und Maintenance-Updates. Das soll sich mit ALP grundlegend ändern.
Stabil, aber mehr Aktualität
Auf der SUSECON stellte sich zudem laut Brown heraus, dass die Kunden von SUSE zwar die Stabilität von SLES zu schätzen wissen, sich aber eine höhere Aktualität wünschen. Auch diesen scheinbaren Widerspruch soll ALP auflösen. Erste Schritte in diese Richtung hat SLE Micro vorgelegt, das hauptsächlich beim Edge-Computing eingesetzt wird. Es bietet weniger als 1.000 Pakete und wird zweimal jährlich veröffentlicht. Die Lebensspanne wurde auf sechs Jahre verkürzt. Die Workloads werden containerisiert. Der Erfolg gab SUSE recht, SLE Micro wurde zum am schnellsten wachsenden Produkt von SUSE. Dieser Erfolg soll mit ALP mehr SUSE-Kunden in weiteren Märkten wie etwa Rechenzentren erreichen.
Was ist ALP?
ALP ist kein Produkt und auch keine Distribution, sondern eine Plattform, auf deren Basis künftige SUSE-Produkte unterschiedlichster Ausrichtung und Größe gebaut werden. Als Beispiel wird bereits an einem SLES für SAP entwickelt, denkbar sind weitere spezialisierte Produkte aus Bereichen wie unter anderem Automotive oder Luftfahrt. Diese Produkte werden unterschiedlichen Update-Zyklen folgen und sich bei den Support-Zeiträumen unterscheiden.
Codestreams
ALP wird verschiedene Codestreams anbieten, ALP-Produkte basieren immer auf mindestens einem davon, wobei der Kunde je nach Produkt auch entscheiden kann, ob sein Fokus mehr auf Stabilität oder mehr auf Aktualität liegt und dementsprechend Komponenten aus verschiedenen Codestreams wählt. Der erste ALP bereits erstellte Codestream heißt SUSE:ALP:SOURCE:STANDARD, kurz ALP:Std und gleicht SLE und SLE Micro, was Release-Zyklus und Support-Zeiträume angeht. Im Unterschied dazu ist es aber möglich, Pakete zwischen Veröffentlichungen zu entfernen. ALP:Std 1.0 besteht derzeit aus 2.624 Paketen und soll in diesem Jahr kaum größer werden.
Weitere mögliche Codestreams sind ALP:Premium für Long Term Support für spezielle Anforderungen und am anderen Ende ALP:Rolling, an dem die Community am ehesten Interesse zeigen wird. Brown will in Kürze openSUSE Factory zu ALP:Rolling umbauen, ohne dass davon Tumbleweed, MicroOS oder Aeon beeinflusst werden. Damit soll lediglich die Infrastruktur an die von SUSE ALP angepasst werden.
Beschlossene ALP-Produkte
Einige ALP-Produkte für die nähere Zukunft sind bereits spruchreif, die hier genannten Codenamen und Zeitangaben können jedoch noch Änderungen unterliegen:
- Marble & Dolomite – SLE und ALP Micro (Frühjahr 2024)
- Basalt – Container Images (Frühjahr 2024)
- Slate – Produkt für SAP (Frühjahr 2025)
- Granite – Generisches Betriebssystem
Granite ist als SLES-Nachfolger zu sehen, wobei Release-Zyklus und Lebensspanne abweichen können. Es wird sich im Look&Feel wie SLES anfühlen, aber einen anderen Unterbau haben. Existente Workloads können ausgeführt werden, solange sie nicht in Containern laufen. Eine Migration von SLES zu Granite soll allerdings nicht einfach zu bewerkstelligen sein.
Was wird aus openSUSE
Die vermutlich interessanteste Frage für die Leser dieses Blogs: Wie geht es mit openSUSE weiter? Muss ich mir eine neue Distribution suchen? Die Antwort zum jetzigen Zeitpunkt ist leider immer noch ein klares Jein und wird es auch für eine Weile bleiben. SUSE wird für openSUSE ALP Zugang zu allen ALP:Std-Quellen und 1:1 Kopien von zumindest Dolomite und Granite gewähren. Damit lässt sich ein Leap-Nachfolger auf ALP-Basis bauen.
Allerdings sieht Brown große Probleme bei der Umsetzung des Produkts, das er derzeit als NewLeap bezeichnet. ALP:Std hat derzeit rund 20 % des Umfangs von Leap oder Tumbleweed und wird bis Ende 2024 auch nicht signifikant wachsen. Die bisher geplanten ALP-Produkte sind eher Server-orientiert und sehen keine Desktops vor. Der ALP-Installer wird auch Anpassungen benötigen. Hier sind Lösungen aus der Community gefragt.
Der mögliche Weg zu NewLeap
Leap 16.6 wird Mitte 2024 erwartet, Granite eher Ende 2025. Soll NewLeap auf Granite aufbauen, kann die Entwicklung erst spät im Jahr 2024 beginnen. Die Entwicklung könnte allerdings auch jetzt einsetzen, ohne auf Granite zu warten. Browns größtes Problem sind Zeit und ausreichend Beitragende aus der Community. Das Team besteht derzeit aus 17 Leuten, was bei dem Ausmaß der Aufgabe nicht ausreichen wird. Ob eine Migration möglich sein wird, ist völlig offen, SUSE wird hier keine Hand reichen.
Brown sieht einige Möglichkeiten, um die Aufgabe etwas einzuschränken:
- NewLeap als reines Desktop-OS
- Nur die populärsten Desktops mit den meisten Unterstützern
- Was wird benötigt vs. was hätten wir gerne?
- Würde ein eventuell mögliches Leap 15.7 helfen?
Fazit und Ausblick
Als Fazit sehe ich SUSE hervorragend aufgestellt, was die ALP Plattform und darauf aufbauende Produkte angeht. Bei openSUSE sieht es dagegen eher düster aus, wenn es nicht gelingt, das Team zu vergrößern. Tumbleweed hat zwar über 1.000 ständig Beitragende, diese werden sich aber kaum zur Mitarbeit an einem relativ statischen System wie NewLeap begeistern lassen.
Wenn es gelingt, genügend Mitstreiter für das massive Unternehmen zu finden, so wird eine erste Veröffentlichung nicht vor Ende 2025 zu erwarten sein. Sollte es ein Leap 15.7 geben, so erhält das Team mehr Zeit, aber auch die Anwender mehr Spielraum für die Entscheidung, ob sie openSUSE treu bleiben oder sich eine andere Distribution suchen.