In den vergangenen zwei Wochen wurden im Fedora- Wiki gleich zwei kontroverse Vorschläge eingereicht. Zum einen geht es um die Aufnahme des X.Org-Forks XLibre in Fedora, zum anderen um die Entfernung der x686-Architektur inklusive der Multilib-Unterstützung. Beide Vorschläge werden derzeit kontrovers diskutiert. Letztlich entscheidet Fedoras Steuerungskomitee FESCo, ob einer oder beide Vorschläge umgesetzt werden.
Hitzige Diskussion
Der von Kevin Kofler eingebrachte Vorschlag sieht vor, in Fedora 43 den herkömmlichen, kaum noch betreuten X.Org X11 X-Server gegen den XLibre-Fork auszutauschen. Kofler ist sich der Kontroversen um den XLibre-Upstream-Maintainer Enrico Weigelt bewusst (FreeDesktop.org CoC-Verletzungen, kontroverse politische Ansichten, Verschwörungstheorien, Tiraden gegen Red Hat), ist aber der Meinung, dass die Vorteile der Auslieferung von gewarteter Software die potenziellen Ärgernisse im Umgang mit Upstream überwiegen. Xwayland bleibt von dem Vorschlag unberührt.
Die Diskussion wird teilweise mit persönlichen Angriffen geführt, was bei Fedora eher selten vorkommt. Die Argumentationskette der Vorschlagsbefürworter reicht dabei zurück bis zur Einführung von systemd. Einer der Diskussionsteilnehmer wurde wegen Verstoßes gegen die Verhaltensregeln für zwei Wochen aus dem Forum ausgeschlossen, was sogleich vom für gewöhnlich stark polarisierenden Brian Lunduke Journal aufgegriffen wurde.
Die Frist für systemweite Änderungen für Fedora 43 ist am 1. Juli, somit steht eine Entscheidung für diesen Vorschlag kurz bevor. Ich denke, es wäre eine gute Idee, den Vorschlag etwas abkühlen zu lassen und die Entscheidung auf Fedora 44 zu verschieben. Dann kann abgesehen werden, wie es nach dem ersten Release von XLibre vom letzten Wochenende mit dem Fork weitergeht.
Der renommierte Kernel-Entwickler David Airlie bringt die Bedenken vieler Kollegen auf den Punkt, wenn er schreibt:
Abgesehen davon ist dieser Fork nichts, was Fedora mit einer Mistgabel anfassen sollte, es sei denn, jemand Kompetenter tritt auf, um ihn zu warten. Enrico ist nicht kompetent genug, um das Design des X.org-Servers zu verstehen, und hat ständig gezeigt, dass er nicht versteht, warum der Server so gebaut ist, wie er ist. Ich würde lieber sehen, wie jemand einen von Grund auf neu entwickelten X-Server schreibt, als dass x11libre in seiner jetzigen Form irgendwo in der Nähe von Benutzern veröffentlicht wird.
Nur weil jemand sagt, dass er etwas pflegt, heißt das nicht, dass es auch gepflegt wird.
https://discussion.fedoraproject.org/t/veto-x11libre-replacing-xorg-for-fedora/155926/79
i686 soll in Rente gehen
Der zweite Vorschlag ist für Fedora 44 vorgesehen und hat somit mehr Zeit, eine Entscheidung herbeizuführen. Es geht um die Entfernung der i686-Architektur inklusive der Multilib-Unterstützung. Fedora hat bereits mit Fedora 31 im Oktober 2019 aufgehört, Kernel-Pakete und Installations-Images für die Plattform bereitzustellen und die Veröffentlichung von i686-Paket-Repositories eingestellt. Pakete wurden jedoch standardmäßig weiterhin für die i686-Architektur erstellt, da sie für die Ausführung von 32-Bit-Anwendungen auf x86_64-Hosts erforderlich waren.
Vor 35 Jahren gestartet
Die i686-Architektur wurde im Jahr 1995 mit dem Pentium Pro eingeführt und setzte sich über Pentium II, III, 4 und AMD K6 und K7 fort. Multilib sorgt in dem Zusammenhang dafür, dass auf einem 64-Bit-Linux-System auch 32-Bit-Programme lauffähig sind, indem die nötigen 32-Bit-Bibliotheken parallel zu den 64-Bit-Bibliotheken bereitgestellt werden.
In zwei Schritten
Die Entwickler, die diesen Vorschlag eingebracht haben, sehen vor, dass in einem ersten Schritt Pakete, die für die i686-Architektur erstellt wurden, nicht mehr in den x86_64-Repositories enthalten sein sollen, wodurch die Multilib-Unterstützung entfällt. In einem zweiten Schritt soll der Bau von Paketen für die i686-Architektur komplett eingestellt werden. Dies ist absichtlich als zweistufiger Prozess geplant. Der erste Schritt sollte relativ einfach rückgängig zu machen sein, falls erforderlich. Der zweite Schritt ist im Grunde unumkehrbar, da seine Umkehrung einen teilweisen Neustart der Architektur erfordern würde.
Diskussion
Eine Umfrage im Rahmen der Diskussion zeigt ein relativ ausgeglichenes Meinungsbild, wobei die Ablehnung leicht überwiegt. Gamer unter Fedora, Bazzite und Nobara und Anwender von Wine sehen Nachteile für sich. Mit dem Wegfall der i686-Unterstützung müssten Wine-Pakete zwingend im sogenannten WoW64-Modus gebaut werden. Dieser erlaubt es, 32-Bit-Windows-Anwendungen auf einem reinen 64-Bit-Linux-System auszuführen, ohne dass native 32-Bit-Linux-Bibliotheken vorhanden sind. Die Befürchtung ist, dass nicht alle Anwendungen im WoW64-Modus laufen werden.
Ohne 32-Bit-Bibliotheken aus den Fedora-Repositories kann der native Steam-Client nicht mehr wie gewohnt installiert werden. Hier müssten Anwender auf das Flatpak zurückgreifen, da dies eigene Laufzeitumgebungen mitliefert, die die nötigen 32-Bit-Bibliotheken enthalten. Proprietäre Spiele, die eigene 32-Bit-Libraries benötigen und nicht als Flatpak verfügbar sind, könnten unbenutzbar werden.
Docker und Podman
Der Fedora-Vorschlag würde weiterhin dazu führen, dass 32-Bit-Anwendungen in Fedora-basierten Containern unter Umständen mittelfristig nicht mehr lauffähig sind, sofern sie auf offizielle Repositories angewiesen sind.
Wird der Vorschlag von FESCo angenommen, bedeutet dies die automatische Entfernung installierter i686-Pakete für Benutzer, die von älteren Fedora-Versionen aus aktualisieren. Aus den Repositories würden letztlich rund 10.000 32-Bit-Pakete entfernt. Fedora erhofft sich damit, die Arbeitslast zu senken und frei werdende Entwicklerzeit in moderne Technologien zu investieren.