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Linux – der Jahresrückblick 2023

Wenn wir in einigen Jahren zurückblicken auf das Jahr 2023, was werden in der Rückschau die Höhepunkte bei Linux und Open Source sein? Es gab Ärgernisse, erfreuliche, aber auch besorgniserregende Entwicklungen. Zu den erfreulichen Ereignissen zählt, dass Linux im Juni laut den Statistikern von StatCounter mit 3,08 % erstmals die 3%-Hürde genommen hat und seitdem weiter auf 3.21 % gestiegen ist.

Einen Monat später konnte im Juli Linux laut Valves Monatsreport Apples macOS bei der Steam-Nutzung erstmals überholen.

Kernel

Was macht Linux aus? Natürlich der Kernel, der Rest ist viel GNU und weitere freie Software. Der erste Kernel des zu Ende gehenden Jahres war Linux 6.2, der letzte Linux 6.6. Eigentlich sollte es Linux 6.7 sein, Linus Torvalds entschied sich wegen der Lage der Feiertage im Kalender dafür, den nächsten Kernel zum ersten Kernel 2024 zu machen. Wie üblich wurde Linux 6.6 als letzter Kernel eines Jahres mittlerweile zum nächsten Kernel mit Langzeitunterstützung erklärt. Linux 6.1 konnte sich per SLTS der Civil Infrastructure Platform (CIP) zehn Jahre Unterstützung sichern. Der Unterstützungszeitraum von LTS für den Kernel wurde dagegen von sechs auf zwei Jahre verkürzt. Der längere Zeitraum wurde wenig genutzt und beanspruchte somit unnötig Entwicklerzeit bei den chronisch unterbesetzten Maintainern.

Kurz vor Jahresende wurde eine Regression in den Kerneln 6.1.64 und 6.1.65 entdeckt, die bei der Verwendung von etx4 als Dateisystem zu Datenverlust führen konnte. Das führte dazu, dass Debian 12.3 »Bookworm« ausfiel und stattdessen Debian 12.4 »Bookworm« mit einem Patch für die Regression erschien.

Ansonsten erfuhr die Rust-Implementierung im Kernel einige Patches und Updates des zugrundeliegenden Unterbaus. Bcachefs wurde nach einigen Anläufen in Linux-Next aufgenommen und wird mit Linux 6.7 Anfang Januar offiziell Teil des Kernels. Für ReiserFS wird dagegen das Ende der Unterstützung und die Entfernung aus dem Kernel vorbereitet.

Distributionen

Debian

Debian GNU/Linux 12 »Bookworm« wurde am 10. Juni 2023 mit acht unterstützten Architekturen veröffentlicht. Nach einer heiß diskutierten Grundsatzentscheidung im Vorjahr enthielten die offiziellen Installationsmedien erstmals unfreie Firmware und Treiber, um die Installation auf aktueller Hardware zu erleichtern. Dazu wurde eine Änderung der Richtlinien ebenso notwendig wie die Einführung eines neuen Archivbereichs. Neben den bekannten Archivbereichen main, contrib und non-free wurde non-free-firmware eingeführt, der nur unfreie Firmware und Treiber enthält. Es dauert oft lange, bis sich Debian bewegt, aber wenn es darauf ankommt, ist das Projekt in der Lage, Neuerungen umzusetzen. Als Nächstes steht vermutlich die Einstellung von 32-Bit ISO-Images auf der Agenda. Mit Debian 13 »Trixie« im Jahr 2024 soll dann auch der UsrMerge zum Abschluss kommen.

Fedora

Bei Fedora sind Neuerungen Programm, Stillstand gibt es nicht. So wurden auch im laufenden Jahr mit den Veröffentlichungen Fedora 38 und 39 mutige Entscheidungen getroffen und umgesetzt. Nicht alles, was geplant war, konnte auch zeitgerecht umgesetzt werden. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Fedora 38 erschien Mitte April mit GNOME 44 als Desktop-Umgebung und erlaubte nach Unmut aus der Community neben dem hauseigenen kuratierten Flatpak-Repository auch den vollen Zugriff auf derzeit fast 2.500 Flatpaks auf Flathub. Fedora 38 verkürzt den Systemd Shutdown Timer auf 45 Sekunden, sodass Anwender bei hängenden Units nicht mehr zwei Minuten warten müssen, bis das System herunterfährt. Die Berechtigungen für SSH-Keys wurden weiter verschärft. Eine Modernisierung der Live-Medien vereinfachte persistente Overlays, wenn das System auf einen USB-Stick geflashed wird.

Das Unified Kernel Image erhielt initiale Unterstützung für Phase 1 der Einführung dieser zukunftsträchtigen Entwicklung. Geplant war auch die 2. Phase des Projekts OSTree Native Container, die aber zunächst auf Fedora 39 verschoben wurde. Nicht zuletzt wurden mit Budgie und dem Tiling-Manager Sway zwei neue Spins eingeführt.

Fedora 39 erschein mit einiger Verspätung am 7. November mit Linux 6.5 und GNOME 45. Der erst mit Fedora 38 vorgestellte Spin mit der Desktop-Umgebung Budgie wurde als Immutable-Variante Fedora Onyx offiziell aufgenommen. Die seit 2017 umgesetzte Modularisierung von Fedora findet mit Ausgabe 39 ein Ende, der Module Build Service eingestellt. Der Grund ist, dass niemand die Funktion mehr betreut.

Bei der Vorstellung der Beta-Version zu Fedora 39 sagte Projektleiter Matthew Miller, dass dieses Release in gewisser Weise vorrangig durch das hervorsticht, was fehlt. Zwei geplante wichtige Änderungen wurden nicht rechtzeitig fertig und werden in einem späteren Release nachgereicht. Dabei geht es um die Auslieferung von DNF5, der neuen Version des Fedora-Paketmanagers Dandified YUM, kurz DNF und um den Next-Gen-Installer Anaconda Web UI. Der bereits angenommene Vorschlag, das schnellere DNF5 als Standard zu setzen, ist auf Fedora 41 verschoben worden. Auch der neue Installer ist bislang nicht bereit für seinen ersten Auftritt, der nun für Fedora 40 ansteht.

Für Fedora 40 im kommenden Frühjahr hat man sich wieder viel vorgenommen. Zumindest der KDE-Spin, der dann mit Plasma 6 als Desktop erscheint, wird komplett auf X11 verzichten und nur noch Wayland unterstützen. Diskutiert wird noch, ob auch für die Workstation-Variante mit GNOME auf X11 verzichtet werden soll. Zudem sieht ein bisher nicht genehmigter Vorschlag eine weitere Vereinfachung des FHS vor.

Ubuntu

Auch Canonical legte mit Ubuntu zwei Interims-Veröffentlichungen mit jeweils neun Monaten Unterstützung vor. Das nächste LTS-Release ist für April 2024 bereits in Arbeit. Einen Aufreger gab es, als Canonical im Februar ankündigte, dass Flatpak-Unterstützung auf Ubuntu-Varianten nicht mehr vorinstalliert sein wird. Canonical zementiert damit das hauseigene, auch in der Ubuntu-Community nicht unumstrittene Snap-Format. Im Gegensatz dazu beschloss Lubuntu, die Variante mit LXQt als Desktop, mit 24.04 auch eine Edition ohne Snap herauszugeben.

Ubuntu 23.04 »Lunar Lobster« erschien mit dem unter dem Codenamen Ubiquity NG auf der Grundlage von Googles Flutter-Framework entwickelten neuen Installer. Die Grundpfeiler von Ubuntu 23.04 bildeten Kernel 6.2 und als Desktop ein angepasstes GNOME 44. Neu zur Familie stießen Ubuntu Unity, Ubuntu Cinnamon und das 2014 zuletzt veröffentlichte und jetzt wieder neu aufgelegte Edubuntu.

Ubuntu 23.10 »Mantic Minotaur« kam am 12. Oktober. Als Basis dienen Linux 6.5 und GNOME 45. Eine der augenfälligsten Neuerungen ist das mit dem Flutter-Framework erstellte App Center als Ersatz für das chronisch langsame Ubuntu Software, das im Hintergrund GNOME Software nutzte. Der mit 23.04 erstmals ausgelieferte neue Installer bietet nun die minimale Installation als Standard an. Eigentlich sollte es in Vorbereitung der Immutable-Variante, die mit 24.04 erscheinen soll, nur die Minimalausstattung geben, Canonical hat sich aber aufgrund der Reaktionen auf diese Ankündigung eines Besseren besonnen und bietet auch einen normal ausgestatteten Desktop an. Eine weitere Neuerung ist die Festplattenverschlüsselung mit Speicherung der Verschlüsselungs-Keys im Trusted Platform Module (TPM).

openSUSE

Bei openSUSE war ich mir im vergangenen Jahr nicht immer sicher, ob es sich hierbei um eine ernsthafte Distribution oder eher um eine Comedyshow handelt. Als ob man angesichts der ziemlich unklaren Zukunft des Projekts nichts Besseres zu tun hat, kümmert man sich intensiv um Namensgebung und neue Logos.

Zunächst begibt sich das Projekt auf Namenssuche. Da es mehrere Varianten von openSUSE MicroOS gibt, entschieden sich die Entwickler, den einzelnen Projekten neue Namen zu verpassen, um sie besser unterscheidbar zu machen. Heraus kamen openSUSE Aeon (GNOME) und openSUSE Kalpa (Plasma). Weiterhin gibt es openSUSE Leap Micro, das anstatt auf Tumbleweed auf dem jeweils aktuellen SUSE Linux Enterprise basiert.

Als Nächstes sollten neue Logos für das Projekt und seine Distributionen Tumbleweed, Leap, Slowroll und Kalpa her. Mit dem Logodesign-Wettbewerb wurde ein einheitliches Erscheinungsbild angestrebt, das sich gut mit den bestehenden Logos für die MicroOS-, Leap Micro- und Aeon kombinieren lässt. Die Community war gefragt. Diese ließ sich nicht lumpen und so wurde im November über 131 Vorschläge abgestimmt. Kurz darauf wurden die Siegerentwürfe enthüllt.

Weder der Ablauf des Wettbewerbs, noch das Ergebnis wurden gut aufgenommen. Fragen wie »Warum soll das Chamäleon überhaupt weg?« und »Erhalten die neuen Logos ein Trademark und wie viele Jahre wird das dauern?« zeigen die Stimmung in Teilen der Community und bei den Projektmitgliedern. Diese bemängelten, bei der Entscheidung keine Stimme gehabt zu haben. Auch habe man die Konzernmutter SUSE außen vor gelassen, was im Hinblick auf Branding und Trademark nicht ideal ist, wie Projektmanager Douglas DeMaio in seiner Bewertung eingestehen musste. Nun wird es einen weiteren Abstimmungsprozess für Mitglieder des openSUSE-Projekts geben, um zwischen dem alten und dem neuen Logo zu wählen.

Anscheinend gibt es aber auch bei openSUSE Leute, die produktiv arbeiten. So war kürzlich zu erfahren, dass man an einer geplanten Vollverschlüsselung bei Tumbleweed und MicroOS arbeitet, die auf systemd-boot und TMP2 oder FIDO2 setzt.

Immutable

Einer der Trends mit einem gerüttelt Maß an Hype waren Immutable Distros. Der Trend schwappte von den Enterprise-Distributionen herüber auf den Desktop. Aus meiner Sicht gab es in dieser Kategorie einige interessante Veröffentlichungen. Da ist einmal Vanilla OS, das demnächst, von mir mit Spannung erwartet, in Version 2 auf der Basis von Debian Sid erscheinen wird. Des Weiteren finde ich die Universal Blue Experimente von Jorge Castro spannend. Seine awesome-immutable Seite auf GitHub ist zudem eine veritable Fundgrube an Informationen und Ressourcen zum Thema Immutable.

Desktop-Umgebungen

Die meisten Fortschritte bei den Desktops machte unbestritten KDE Plasma. Geschuldet ist dies den Vorbereitungen auf die im Februar 2024 anstehende Veröffentlichung von Plasma 6. Dabei konnte auch die Anpassung von Plasma an Wayland weiter verbessert werden.

Aufsteiger des Jahres

Für diesen Titel kommt 2023 eigentlich nur Wayland infrage. 15 Jahre nach dem Beginn der Entwicklung startete Wayland 2023 endlich durch. Im kommenden Jahr werden erste Distributionen komplett auf X11 verzichten. KDE Plasma 6 wird ab dem Frühjahr Wayland als Standard nutzen. Red Hat hat angekündigt, mit RHEL 10 ausschließlich auf Wayland setzen zu wollen. Mit der weiteren Verbreitung werden die verbleibenden Fehler vermutlich schnell beseitigt und noch fehlende Protokolle ergänzt. Statt eines monolithischen Xorg-Display-Servers aus den 1980er-Jahren, der mit den modernen grafischen Anforderungen insbesondere in Bezug auf Sicherheit und Effizienz nicht mehr mithalten kann, bringt die Zukunft eine Dreieinigkeit aus Wayland-Protokollen, XDG Desktop Portals und PipeWire, das erst kürzlich die stabile Version 1.0 erreichte.

Absteiger des Jahres

Dieser Titel geht ohne Zweifel an Red Hat. Der Konzern kündigte im Juni eine Änderung seines Lizenzmodells an, wodurch der Quellcode und die SRPM-Pakete nicht mehr auf git.centos.org frei zur Verfügung stehen. Der Quellcode für RHEL RPMs wird nur noch über das Kundenportal freigegeben. Damit standen Distributionen wie AlmaLinux, Rocky Linux und Oracle Linux, die bisher bitgenaue Kopien von RHEL veröffentlicht hatten, vor großen Problemen. AlmaLinux und Rocky Linux entstanden aus der Not heraus, nachdem Red Hat Ende 2020 die Einstellung von CentOS zugunsten des neuen CentOS Stream beschlossen hatte. Ihre Existenz war gefährdet, denn sie müssen neue Quellen für die RPM-Pakete finden, die RHEL ausmachen.

AlmaLinux verzichtet seitdem darauf, ein Bit-genaues Abbild von RHEL zu erstellen und will künftig nur noch ABI-kompatibel zu RHEL sein, während sich Oracle Linux und Rocky Linux in der von SUSE initiierten Open Enterprise Linux Association (OpenELA) zusammenschließen, um auch weiterhin RHEL-Klons zu ermöglichen.

Erfolgsmodell Flathub

Flathub ist das zentrale Repository für Flatpaks und ist mittlerweile in die Softwareverwaltungen von Plasma und GNOME so eingebunden, dass die Installation von Flatpaks aus Flathub heraus nur weniger Klicks bedarf. Im Mai 2023 konnte Flathub eine Milliarde Downloads feiern. Mittlerweile werden Flatpaks mit einem blauen Haken verifiziert, wenn sie von ihrem Originalentwickler oder einem vom Entwickler genehmigten Drittanbieter veröffentlicht wurde.

Raspberry Pi 5

Früher als erwartet wurde der Raspberry Pi 5 in den Markt entlassen und ist mittlerweile auch verfügbar. Der neue Pi kommt mit einer stärkeren CPU, vier oder acht GByte RAM und erstmals einem selbst entwickelten Steuerchip namens RP1 für USB (2x USB 2.0, 2x USB 3.0), Gigabit-Ethernet, GPIO und die neuen zwei 4-Lane FPC-Anschlüsse für Kamera- und Display Transceiver. Dank PCIe 2.0 lassen sich mittlerweile mit einem kleinen Zusatzboard auch NVMe-SSDs am RasPi betreiben.

Die Preise beginnen für die Variante mit vier GByte bei 70 Euro und liegen für das größere Modell bei über 90 Euro und entfernen sich damit massiv von den früher mal üblichen 35 US-Dollar. Damit endet endgültig eine Ära, in der die Raspberry Pi Foundation es für ihren Bildungsauftrag hielt, für kleines Geld ein Bastelboard anzubieten, mit dem jedermann eigene Projekte umsetzen oder die von anderen nachvollziehen konnte. Ab jetzt ist der Pi nur noch ein Kleinstrechner unter vielen.

Künstliche Intelligenz

KI war branchenübergreifend eines der bestimmenden Themen im vergangenen Jahr. Noch nie breitete sich eine neue Technologie mit einer solchen Geschwindigkeit aus, wie KI-Software wie ChatGPT oder Dall-E. Selbst gestandene Fortschrittsjünger rieten zum Ausbremsen, bis man mehr Kontrolle und bessere Richtlinien zur künftigen Entwicklung hat. Befürchtungen bis hin zum Ende der Menschheit wurden heraufbeschworen.

Natürlich griff die Entwicklung auch auf den Open-Source-Bereich über. Die hier entstandenen Large Language Modelle (LLMs) können nicht mit den mit scheinbar unbegrenzten Entwicklungsbudgets ausgestatteten kommerziellen LLMs mithalten. Mozilla investiert aber derzeit in die Bündelung der Entwicklung mit dem Ziel eines einfacheren Zugangs durch Modelle, bei denen unter dem Stichwort Lokale KI die Daten das heimische Netzwerk nicht verlassen.

Mein Fazit

Für mich ist seit Langem jedes Jahr das Jahr des Linux-Desktops. Ich schiele dabei nicht auf Marktanteile, sondern freue mich, wieder auf ein Jahr zurückzublicken, in dem ich auf andere Betriebssysteme komplett verzichten konnte, um meiner Arbeit und meinen Projekten nachzugehen.

Das vergangene Jahr war für mich besonders spannend, da sich ein moderner Linux-Desktop an Horizont abzeichnet, der auf Altlasten verzichtet. Ich weiß, dass dies nicht überall gern gesehen wird, aber auch für Traditionalisten wird Linux weiterhin genügend Distributionen bieten, die auf Modernismen verzichten und die Traditionen von Unix und Linux hochhalten. Somit können alle Linuxer gespannt und entspannt auf 2024 blicken.

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